Schwieriger Aufstieg

Das Parlament hat Ende Dezember Post bekommen. Dieses Mal stammt sie aus dem Bildungsministerium und beinhaltet den Nationalen Bildungsbericht 2021. Seit 2009 wird im Dreijahresrhythmus die Analyse des heimischen Bildungssystems vorgelegt. Sie soll als Qualitätssicherung dienen. Einmal mehr zeigt sich, dass Bildung hierzulande eine Frage der Herkunft ist.

In der Zusammenfassung des Bildungsberichts heißt es wörtlich: “Weiterhin besteht allerdings ein – auch im internationalen Vergleich hoher – Zusammenhang zwischen familiärer Herkunft und Bildungserfolg. Insbesondere die Merkmale der höchsten abgeschlossenen (formalen) Bildung im Elternhaus und der nichtdeutschen Erstsprache zeigen sich – unter ansonsten vergleichbaren Bedingungen – als besonders prädiktiv für den Kompetenzerwerb.”

Dass Bildung bzw. der Bildungsabschluss in Österreich vererbt wird, steht zwar außer Frage, doch zu einer Reform des Bildungssystems, die soziale Ungleichheiten reduzieren könnte, ist es bisher nicht gekommen. Insbesondere beim Übertritt von der Volksschule in die Sekundarstufe I gibt es quasi unsichtbare Barrieren, die die Kinder in bestimmte Bahnen lenken.

Der Übertritt

Die Bildungsströme nach der Primarstufe verlaufen seit Jahren ziemlich ähnlich. Rund ein Drittel der Volksschüler- und -schülerinnen wechselt nach der vierten Schulstufe in eine AHS-Unterstufe, etwa zwei Drittel in eine Mittelschule. Im Jahr 2019 “wählten” 61 Prozent der Kinder eine Mittelschule, 38 Prozent die AHS-Unterstufe, wobei dieser Anteil seit 2009 steigt.

Übertritte von Schülerinnen im österreichischen Schulsystem

Im Bundesländervergleich reißen hier Wien, Vorarlberg und Tirol etwas aus. Während in der Bundeshauptstadt mehr als die Hälfte der Kinder bereits in ein Gymnasium wechselt, gehen in den westlichsten Bundesländern knapp 75 Prozent der Schüler und Schülerinnen nach der Volksschule in eine Mittelschule.

Anteil der AHS- und MS-Schüler

Wenn man sich genauer den Bildungshintergrund der Eltern ansieht, erkennt man folgendes: Die Wahrscheinlichkeit, nach der Volksschule in eine AHS-Unterstufe zu wechseln, steigt, wenn die Eltern einen akademischen Abschluss haben. Haben Eltern ausschließlich einen Pflichtschul- oder Lehrabschluss bzw. eine Berufsausbildung gehen ihre Kinder für gewöhnlich in die Mittelschule.

In Zahlen ausgedrückt: 50 Prozent der Kinder, die nach der Volksschule an eine AHS-Unterstufe wechselten, haben Eltern mit einem akademischen Hintergrund. Nur drei Prozent der Schüler und Schülerinnen haben Eltern, die maximal einen Pflichtschulabschluss besitzen.

SchülerInnen an AHS und MS anhand des Bildungshintergrunds der Eltern

Die Eltern

Warum ist diese Grafik überhaupt erwähnenswert? Ganz einfach: Personen mit einem AHS-Hintergrund beginnen eher ein Studium, schließen dieses mit akademischen Grad ab und haben ein deutlich geringeres Risiko, arbeitslos zu werden. Fast die Hälfte der arbeitslosen Personen haben lediglich Pflichtschulbildung.

Gleich zur Klärung: Nein, es müssen freilich nicht alle studieren. Es sollten aber alle die Chance haben, ihre (Aus-)Bildungslaufbahn unabhängig vom elterlichen Bildungshintergrund oder der sozialen Herkunft wählen zu können. Das ist in Österreich aber nicht der Fall, wie das Bildungsministerium selbst schreibt:

“Hinsichtlich des angestrebten Besuchs der AHS-Unterstufe sind die sozialen Ungleichheiten bei der Schulwahlentscheidung zu etwa zwei Dritteln durch die leistungsunabhängige Wahlentscheidung erklärbar, zu nur einem Drittel durch die tatsächlichen Leistungsunterschiede.”

Primäre und sekundäre Herkunftseffekte bei Schulwegentscheidungen

So spielt etwa der Bildungshintergrund der Eltern ein größere Rolle als die Schulleistung des Kindes. Der Migrationshintergrund hat hingegen weniger Einfluss auf die Bildungswegentscheidung – was freilich nicht heißt, dass Personen mit Migrationshintergrund nicht von anderen Faktoren betroffen sind.

Die Leistung

Nun muss man allerdings auch festhalten, dass der Anteil an Kindern aus bildungsfernen Familien zum Beispiel in Mathematik oder Lesen in der leistungsschwachen Schülerschaft überproportional stark vertreten ist. Für Fachleute bedeutet das: Sowohl der sozioökonomische Status als auch der Bildungshintergrund der Eltern spielen eine Rolle bei der Lernleistung bzw. beim Lernerfolg der Kinder.

Das Bildungsministerium schreibt mit Blick auf den sozioökonomischen Status: “Ein höherer sozioökonomischer Status geht einher mit einem größeren ökonomischen Kapital (z. B. Nachhilfe, private Lernmittel etc.) sowie einem größeren kulturellen Kapital (wie etwa der Anzahl der Bücher zuhause, Theaterbesuch etc.).”

Beim Bildungshintergrund der Eltern ist es ähnlich: Wer Bildung genossen hat, wird sie auch schätzt und versuchen, sie auch seinen Kindern zu ermöglichen. Wer jedoch nicht die finanziellen Mittel dazu hat, ist automatisch im Nachteil gegenüber jenen, die sich Museumsbesuche, Bücher oder einen Laptop leisten können.

Also ist der Übertritt von der Volksschule in eine AHS-Unterstufe doch nur eine Frage der schulischen Leistung, die halt zuhause oder mit finanziellen Mitteln (z.B. kostenlose Museumsbesuche) gefördert werden muss? Nein.

Trotz der Leistung

Kinder aus bildungsfernen Familien „wählen“ trotz sehr guter Leistung in der Volksschule seltener eine Schule, die ihre Potenziale fördern könnte. Beispiel Mathematikkompetenz: Kinder aus akademischen Haushalten, deren Leistung nahe am Österreichschnitt von 551 Punkten liegt, treten zu 62 Prozent in eine AHS-Unterstufe über. Das ist mehr als doppelt so häufig wie bei Kindern, die zwar auch die 551 Punkte erreichen, aber deren Eltern maximal eine Pflichtschule abgeschlossen haben (24 Prozent).

AHS-Übertrittsquoten nach Bildung der Eltern und Mathematikkompetenz (2018)

Aber warum? Zum einen wegen der Eltern, die zwar das Beste für das Kind tun wollen, aber zum Teil nicht die notwendigen (finanziellen, sozialen) Ressourcen haben. Und zum anderen wegen einer Übertrittsempfehlung in der vierten Volksschulklasse. In zig Studien ist schon nachgewiesen worden, dass AHS-Empfehlungen von Volksschullehrer und -lehrerinnen nicht nur von den real erbrachten Leistungen der Schüler und Schülerinnen abhängt, sondern auch vom familiären Hintergrund der Kinder.

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